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Stefan Heikens - Feldpostbriefe und Familiengeschichten

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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Stefan Heikens - Feldpostbriefe und Familiengeschichten
Nachdem mein Thema im "Autoren stellen sich vor"-Thread so gut ankam möchte ich hiermit einen ganz eigenständigen Thread eröffnen, und mit Euch über meine Arbeit als Herausgeber, über bestimmte Briefe und vor allem über das Thema an sich diskutieren...

Nochmal kurz zusammengefasst: Ich sammle Feldpostbriefe aus dem zweiten Weltkrieg, tippe sie ab und veröffentliche sie dann als Buch. Dabei ist jede Geschichte individuell und authentisch, und das macht für mich persönlich den ganz besonderen Reiz aus. Manche Soldaten fallen, andere gehen in die Gefangenschaft oder kehren einfach nach Hause zurück. Aber Briefe an ihre Familie und Freunde schreiben sie alle. Und das ist dann das wirklich Interessante, denn obwohl es die immer gleiche Ausgangslage ist, der zweite Weltkrieg, geht jeder anders damit um. Und so schreiben Väter an ihre kleinen Kinder, Männer an ihre Frauen und Verlobten, Söhne an ihre Eltern...

Ich mache das ganze unter dem Motto "Gegen Rechts. Gegen das Vergessen.", und aus reinem Idealismus, denn ich glaube dass es wichtig ist sich daran zu erinnern was war. Bisher sind dabei drei Bücher erschienen, weitere Erscheinungen werde ich hier natürlich gerne bekannt geben. Und ich freue mich sehr über jede Rückmeldung zu meiner Arbeit, hoffentlich wird es hier auch die ein oder andere fruchtbare Diskussion geben. Für Kritik jeglicher Form bin ich also offen.

Beste Grüße,

Stefan
******rot Frau
13.146 Beiträge
Hallo Stefan,

ich freue mich, daß du den Weg zu uns gefunden hast, der Bruder meines Opas ist nicht mehr heimgekommen und manchmal denke ich schon daran, wo er wohl geblieben ist, und vielleicht blieb da auch der ein oder andere Brief auf der Strecke - der von dir oder anderen Menschen, die sich damit beschäftigen gefunden wird oder gar wurde, es würde vermutlich nicht ausreichen eine Geschichte zu erzählen, aber alleine der Gedanke, das sich jemand damit beschäftigen könnte ist für mich toll.

Ich bin schon sehr gespannt, welche Berührungspunkte andere damit haben *danke*
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Ein einzelner Brief...
...kann manchmal schon wahnsinnig viel verändern. Ich fand einen einzigen, als mein Großvater starb, in seiner Werkstatt. Ich war zwölf Jahre alt, und hatte mich bis dahin noch nie mit dem Thema auseinander gesetzt. Es war eine kleine gedruckte Karte, auf der er nur ein paar Worte hinzugefügt hatte, und die er aus der englischen Kriegsgefangenschaft an seine Familie geschickt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, dass er Wehrmachtssoldat gewesen war, geschweige denn in England. Ich habe leider auch keine Ahnung was mit all den anderen Briefen passiert ist, ich habe nur diesen einen...

Mit diesem Großvater konnte ich also aufgrund seines frühen Todes leider nie darüber sprechen, und all meine anderen Großeltern hielten sich bei diesem Thema sehr bedeckt, deswegen fing ich an woanders nach Informationen zu suchen, und kam letztlich bei den Briefen an. Jetzt veröffentliche ich sie. Das Thema hat mich nach 25 Jahren also immer noch nicht wieder losgelassen, und wird es wohl auch nie...
*******011 Frau
2.854 Beiträge
Das ist toll von Dir und ich werde den Threat beobachten. Hoffentlich wird er nicht gesperrt, da hier ja nichts politisches gepostet werden darf.
******rot Frau
13.146 Beiträge
deine Bedenken kann ich erst mal ausräumen, sollte hier eine politische Diskussion entstehen, wärs wirklich schade, und dann müsste ich natürlich auch handeln, aber Eindrücke, Gedanken zu Briefpost innerhalb des Kriegs, vielleicht sogar bekannte Schicksale die damit zusammenhängen zu schildern, ist absolut unbedenklich
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Um Gottes Willen, ich will hier auch nicht politisch werden! Deswegen schreibe ich ja auch über einzelne Menschen und deren Schicksale, und nicht über die Anführer oder die Politik dieser Zeit. Ich sehe es einfach als interessante Informationsquelle, und als Biografien von Menschen, die aufgrund der Umstände ein wirklich interessantes Leben hatten... Mich interessiert so gesehen eher der psychologische Aspekt, nicht der politische...

Also ja, falls es hier irgendwie in Politik ausarten sollte bitte ich hiermit um Moderation, ganz offiziell... *zwinker*
******hen Paar
415 Beiträge
Was glaubst oder weißt du?
Wer kauft und liest dann dieses Buch?
Diejenigen mit Nachholbedarf in Geschichte?
Kommentierst du die Briefe ?
Wenn ja, mit welcher Intention?

Er vom Haeuschen
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Kaufen und lesen tun es bisher leider viel zu wenige, wenn Du mich fragst... *zwinker*

Aber mal im Ernst, ich mache das alles aus reinem Idealismus, finanziell gesehen ist es momentan noch ein absolutes Verlustgeschäft, ich hab bei der Veröffentlichung von drei Büchern nicht einmal die Kosten für ein einziges wieder decken können, die Thematik ist wohl einfach zu speziell! Trotzdem mache ich weiter, da mich das Abtippen ganz persönlich interessiert, und der Weg zu einer Veröffentlichung dann sowieso nicht mehr weit ist. Aber ich habe auch schon einige Rückmeldungen bekommen von Menschen die ebenso wie ich daran interessiert sind ihre Großeltern/Eltern/... besser zu verstehen, und dafür meine Bücher als Hilfe gewählt haben. Ich glaube dass man eine Generation von Menschen viel besser verstehen kann wenn man unten anfängt, und nicht oben.

Bei meiner ersten Lesung saßen hauptsächlich Leute um die 80 im Publikum, und mittendrin entspann sich spontan eine Diskussion die über eine Stunde ging, als sie begannen untereinander und durch das Buch angeregt Erinnerungen auszutauschen! Einige stimmten den Briefen zu, und erinnerten sich an genau dieselben Dinge, einige widersprachen vehement... Es war wahnsinnig interessant...

Ich selbst schreibe nur ein Vorwort in meinen Büchern, erkläre kurz einiges, aber die Briefe selbst kommentiere ich nicht. Ich überlasse jedem Leser selbst die Möglichkeit, genau so wie ich, die Situation einzuschätzen, und sich die Hintergründe anzulesen. Das ist für mich das Interessante, denn jeder interpretiert die Briefe ein wenig anders, ich will da niemandem etwas vorgeben. Ich wüsste auch gar nicht, was ich da genau kommentieren sollte! Die Truppenbewegungen, die Gefühle, das was in Zukunft noch passieren wird?

Im letzten Konvolut das ich abtippte kann man zum Beispiel sehen wie die Absenderin der Briefe im zerstörten Berlin an ihren Mann in Gefangenschaft schreibt, und psychisch immer mehr abbaut. Das kann man über drei Jahre hinweg als Zaungast beobachten. Sie versucht wirklich alles um sich und ihr Kind alleine durchzubringen, aber plötzlich bricht der Kontakt nach einigen wirklich deprimierenden Briefen ab. Ich persönlich interpretiere es so, dass sie sich das Leben genommen hat, jemand anderes mag da zu einem ganz anderen Schluß kommen.

Ich möchte den Briefen einfach nicht zu sehr meinen eigenen Stempel aufdrücken, denn anders als bei geschichtlichen Fakten und Biografien bekannter Menschen geht es dabei eher um Gefühle, und die wage ich einfach nicht zu kategorisieren...

Konnte ich Deine Fragen ausreichend beantworten?

Besten Gruß von

Stefan
*******ias Frau
4.126 Beiträge
Staatenlos im zweiten Weltkrieg
Die Geschichte meines Opas.
Eine Nacherzählung.
Ein Echo.

Als erstes kam Opa in jugoslawische Kriegsgefangenschaft. Damals – als der Krieg ausbrach - war er als Wandergesell unten in Mazedonien. Die Jugoslawen deportieren ihn in seine Heimatstadt (von Jugoslawien besetztes Gebiet, ursprünglich Königreich Österreich-Ungarn). Dort stellten die Jugoslawen fest, dass Opa ein Deutscher sei und hielten ihn in Gefangenschaft. Opa irritierte dies ein wenig. Schließlich war er im Königreich Österreich-Ungarn geboren und dort aufgewachsen. Deutschstämmig? - Ja, das schon. Aber doch sicherlich ein Österreicher, oder nicht? Zumindest stand dies in seinem Pass. Nun denn, für die Jugoslawen machte es eh keinen Unterschied ob Opa nun Deutscher oder deutschstämmiger Österreicher sei. Also war's egal.

Einer der Gefängniswärter war ein Ungar. Opa kannte ihn sehr gut. Es war der Vater seines besten Freundes und für Opa war er wie ein zweiter Vater. Er und sein bester Freund hingen früher fast immer zusammen. Und sie verbrachten die Hälfte der Zeit im Haushalt der einen und die andere Hälfte im Haushalt der anderen Familie. Und auch sonst hatten sich die beiden Familien oft untereinander geholfen und viel miteinander gefeiert. Ihre Familien waren mehr als bloß gute Nachbarn.

Als Opa nach der anstrengenden Reise im Gefängnis ankam und dort seinen zweiten Vater sah, hüpfte sein Herz vor Freude. Doch der Ungar tat einfach so als würde er ihn nicht kennen. Hm? Womöglich eine ungünstige Situation? Doch das ging so weiter. Auch wenn niemand anders mit ihnen im Raum war. Als sei Opa Luft. Und dann... als sei Opa der letzte Dreck. Abschaum. Da brach für Opa die Welt zusammen. Diese Zurückweisung war viel schlimmer als die Gefangenschaft selbst. Alles andere konnte er ertragen. Doch das nicht! Opa schrie und wütetete und rüttelte an den Gitterstäben. Doch es änderte nichts.

Irgendwie musste sich doch jeder mit dem Ausbruch des Krieges arrangieren. So spielt nun Mal das Leben. Opa hatte auch überhaupt kein Problem damit, dass der Ungar während der Besatzung zum Gefängniswärter wurde. Das waren andere Ungarn ja auch. Durch die Besatzung war der alte Job weg. Und dann brachte man seine Familie eben als Gefängniswärter durch. Doch dass ein Mensch, mit dem er sein Leben lang befreundet – ja, der irgendwie Familie – war, so mit ihm umging, dass konnte auch kein Krieg rechtfertigen! "Wenn wir im Kampf aufeinandergeprallt wären und er mich dabei erschossen hätte, wäre das schon noch in Ordnung gegangen. Das kann man sich im Krieg ja nicht aussuchen.", meinte Opa. Doch sowas? Das nahm Opa als persönliche Kränkung auf. Mit ein paar der anderen Gefängniswärter konnte Opa einen freundschaftlichen Kontakt aufbauen. Die Rollen "Wärter" und "Gefangener" sagen doch nichts über den Menschen aus. Doch für seinen zweiten Vater blieb Opa Abschaum. Wie man sich doch in einem Menschen täuschen konnte...

Als die Nazis zum ersten Mal in Opas Heimatstadt kamen, befreiten sie alle Kriegsgefangen. Dann verschwanden sie wieder. Opa blieb dann in seiner Heimatstadt. Das war keine Zeit für Wandergesellen.

Als die Nazis nach ein paar Monaten das zweite Mal in Opas Heimatstadt kamen, gab es große Paraden. Opa meinte, das sei großartig gewesen. So etwas kannte man nicht. Das sei wie heutzutage die großen Rockkonzerte. Alle jubelten und alle wollten dabei sein. Alle jungen Männer strömten zum Rekrutierungsbüro der SS. Auch Opa. Doch Opa erfüllte das Gardemaß nicht. Er war zu klein für die SS. "Puh! Was für ein Glück! Aber eines kannst Du mir glauben: Damals war ich fürchterlich niedergeschlagen. Ich wollte nicht länger im Weinberg versauern! Wie ich das hasste."

Als die Nazis nach weitere Monaten das dritte Mal in Opas Heimatstadt kamen, verhafteten sie ihn und deportierten ihn nach Berlin. Angeblich zwecks Musterung. Kein Thema. Das überraschte da niemanden. Und es war ja klar, dass dies irgendwann kommen musste. Schließlich war er Österreicher. Und wenn sein Land im Krieg ist... Doch es kam anders als gedacht. In Berlin angekommen steckten die Nazis Opa in ein Lager. Das war wohl so eine Art Durchgangslager. Da gab es alle möglichen Nationalitäten. Seine deutschstämmigen Landsleute waren jedoch irgendwo anders untergekommen. Vielleicht in einem der anderen Abschnitte? In seinem Abschnitt traf Opa zufällig einen jener Soldaten wieder, die ihn in Mazedonien verhaftet und in seinen Heimatort deportiert hatten. Ein netter Jugoslawe. Aber irgendwie war die Situation merkwürdig. Beunruhigend. Und alles, was Opa in Erfahrung bringen konnte, war, dass es noch eine Überprüfung geben würde. Also übte er sich in Geduld.

Zur Überprüfung musste Opa sich in einem Gebäude ausziehen und sie wurden mit kaltem Wasser abgespritzt. Und schön schrubben. Danach ging es gut 300 Meter barfuß & nackig zum anderen Gebäude. Unter freiem Himmel. Der schmale Weg war bloß rechts und links durch Stacheldrat begrenzt. Drüben angelangt führte man ihn in einen Raum mit einem Arzt und einem halben Dutzend Offizieren. Nackig stand er dort und wurde Zeuge eines bürokratischen Schauspiels.

Nun, Opa in jungen Jahren muss man sich vom Erscheinungsbild her wie eine Mischung aus Brad Pitt und Leonardo di Caprio vorstellen. Ein richtger Frauenschwarm. Er war gesund, sportlich (ein durchtrainierter Turner), hellblond, blauäugig, gutaussehend, mit einem gewinnenden Wesen, der da wunderbar brav und stramm stand. Zu benehmen wusste er sich also auch. Dazu kam eine lange preußische Abstammungslinie und der Rest der Abstammung war auch völlig in Ordnung. Ein Christ aus der Arbeiterklasse. Und dass er sich freiwillig bei der SS beworben hatte, kam noch obendrauf. - Alles in allem erfüllte er das Ideal eines Ariers. - Doch der Geburtsort ging nicht.

Ja, Opa sei wohl ein Arier. Doch Opa sei kein Deutscher sondern ein Österreicher. Die Österreicher könnten ihn richtig - als Arier – rekrutieren. Doch die Deutschen dürften dies aufgrund der Rechtslage nicht. Denn seine Geburts- & Heimatstadt läge in der Zuständigkeit der Österreicher. Und die Österreicher... die Österreicher hatten Opa zum Jugoslawen erklärt. Vermutlich, weil Opa während des Ausbruchs des Krieges als Wandergesell in Jugoslawien gearbeitet hatte. "Da muss wohl jemand einen im Tee gehabt haben.", dachte sich Opa. Seine Lage war verrückt!

Die Jugoslaven sagten, Opa sei Deutscher.
Die Deutschen sagten, Opa sei Österreicher. (und Arier)
Und die Österreicher sagten, Opa sei Jugoslawe.

Knapp zwei Stunden lang diskutierten die deutschen Offiziere über Opas Schicksal. Und welche Möglichkeiten da alle zur Sprache kamen! Nicht alle Anwesenden waren unbedingt auf der Suche nach einer Lösung sondern wollten den Fall bloß rasch vom Tisch haben. Und das hieß nichts Gutes. In solchen Momenten ging Opa der Arsch auf Grundeis. Und er fror noch mehr als eh schon wegen der Kälte im Raum. Immer wieder besann er sich, Haltung zu bewahren. Er redete sich selbst gut zu. Dies sei auch nichts anderes als ein Wettkampf beim Turnen. "Du musst mit den Kampfrichtern flirten, ohne dass es wie ein Flirt aussieht.", hatte sein Trainer früher gesagt. Ja, bei den Turnübungen, die der Arzt von ihm verlangte, ging das ja auch wie von selbst. Solange er sich bewegen durfte war alles in Butter. Und sie schauten ihm gerne zu und forderten mehr und mehr. Und Opa tanzte wie ein Äffchen. Kein Problem. Doch beim stramm stehen während es um Deine Klassifizierung als "feindliche Rasse" geht, ist das leichter gesagt als getan. Da kriecht Dir die Kälte in die Knochen. Ja, wenn man das Gefühl bekommt, bloß noch ein Stück Fleisch zu sein. Dann stellte Opa sich vor, die Offiziere wären auch alle nackt. Das beruhigte ihn. "Die Rollen sind nicht wichtig. Du musst den Menschen sehen.", war Opas Lebensmotto. Diese ganze Situation war hochgradig skurril. Manchmal hätte er am liebsten gebrüllt vor Lachen! Doch es war ernst. Ein Lachanfall wäre da ebenso schlecht gewesen wie sich vor Angst in die nicht vorhandenen Hosen zu pinkeln. Haltung bewahren. Die Menschen hier tun auch bloß ihre Arbeit. Es wurden Papiere studiert und große juristische Wälzer angefordert und zu Rate gezogen. Für Opa war dieses ganze Bürokratie-Gedöns fremdartig. "Herzlichen Glückwunsch. Sie sind Arier. Aber wir Nazis dürfen sie nicht zum Arier erklären!" - Das war doch geradezu lächerlich. Davon sollte sein Leben abhängen? Das machte ihn wütend. Wenigstens verhinderte die Wut Opas Lachanfall. Nein, die Bürokratie würde er nie verstehen! Aber diese Menschen bemühten sich ihre Arbeit wirklich gut zu machen. Das fand Opa liebenswert. Diese Menschen suchten nach einer Lösung für ihn. Und das beruhigte ihn.

Und sie fanden eine Lösung:
Durch einen juristischen Winkelzug erklärten sie Opa zum Staatenlosen mit deutscher Abstammung. So konnten sie ihn zu den deutschstämmigen Polen stecken - also zu den "Menschen zweiter Klasse". - Glück gehabt! Danke!
.
*******ias Frau
4.126 Beiträge
Bedeutung von Geschichten
Hallo ihr Lieben!

Nun, ich wurde via PN gefragt, wie die Geschichte weiter geht und dazu ermuntert, meinen Hintergrund zu erläutern. Dem komme ich hier gerne nach. Wie Bonney bereits in seinem Eingangspost schrieb, geht jede Familie anders mit diesem Kapitel unserer Geschichte um.

Mein Opa hat seine Geschichten erzählt. In der Familie. Aber auch gerne jedem Besucher, den er mochte.
Vor acht Jahren ist Opa gestorben.
Und als ich Bonneys Beiträge las, musste ich sofort an Opas Geschichten denken.
"Ich sollte versuchen diese Geschichten nachzuerzählen, solange ich mich noch daran erinnern kann. Weil darin soviel Lebensweisheit steckt.", dachte ich und so machte ich mich ans Werk.

Rasch bemerkte ich, dass meine Nacherzählung bloß ein schwaches Echo abgeben können würde. Und wie schwierig es ist, Opas Geschichte chronologisch zu erzählen. Das liegt in der Natur von Situationen, in denen das ganze Leben auf der Kippe steht. - Wie eben jenen geschilderten zwei Stunden der Überprüfung.
In diesen Stunden griff Opa auf all seine Erlebnisse und Erfahrungswerte zurück. Er griff auf alles zurück, was ihm irgendwie helfen konnte nicht komplett durchzudrehen. Und ich habe mich bemüht einige seiner Gedankengänge hier wieder zu geben. Seine Rückbesinnung auf seine jugoslavische Kriegsgefangenschaft, verlegte ich vor. Beispielhaft nahm ich die Rückbesinnung auf seinen alten Turnlehrer. (Auch wenn ich diese bloß kurz angekratzt habe.) Doch das alles ist bloß eine magere Auswahl, die ich traf.

Der Punkt ist: Ich weiß nicht, wie oft Opa mir diese Geschichte erzählt hat. Doch jedes Mal kamen andere Hintergrundinformationen hinzu. Jedes Mal kamen weitere Geschichten aus anderen Zeiten, die ihm geholfen haben, diese zwei Stunden durchzustehen. Wiederholungen gab es natürlich auch. Doch mit jedem Erzählen kam eine neue Schicht hinzu. Mit jedem Erzählen wurde die Geschichte größer und lebendiger. Vermutlich könnte ich 200 Seiten über diese zwei Stunden schreiben und ich hätte mich dennoch nicht an alles erinnert.

Vor allem... ich erinnere mich weniger an die Details aus Opas Zeit, sondern vielmehr an die Aha-Momente in meinem Leben. Ich erinnere mich an emotional belastende Situationen, in denen ich Schwierigkeiten hatte, Anschluss an eine Gruppe zu finden. Schwierigkeiten, mit den Menschen in Kontakt zu treten. Oder Situationen, in denen mein Zugehörigkeitsgefühl zu meiner Gruppe in Konflikt mit meinen persönlichen Werten und Bedürfnissen stand. Dann ist es schwierig, sowohl mit sich selbst als auch mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. "Rolle" und "Mensch" auseinander zu halten. Was ergibt sich aus der Rolle selbst? Was ist persönliche Kränkung? Und wie gehe ich damit um? - In den zwei Stunden der Überprüfung hat Opa viele dieser Konflikte gelöst und zu einer Einstellung gefunden, die es ihm ermöglichte, den Kontakt zu den Nazi-Offizieren positiv zu gestalten. Und je nachdem, woran ich gerade im Leben knabberte, legte Opa den Schwerpunkt seiner Geschichte auf einen anderen Aspekt. Irgendwie fand ich dann meine eigenen Lösungswege. Doch es war mein Opa, der "meine eigenen Lösungen" für mich erst denkbar machte. Wirklich bewusst wurde mir dies erst nach Opas Tod.


Nachholbedarf in Geschichte?

Ja, irgendwie gibt es in meiner Generation sehr viele mit Nachholbedarf.
Aber das ist weniger das Bedürfnis nach Geschichtsbüchern. Sondern das Bedürfnis nach emotionaler Entwicklung. Was ist mit meinen Wurzeln? Was ist da passiert? Wie haben sich meine Ahnen gefühlt? Denn das, was in den Geschichtsbüchern steht, ist unbegreiflich und abstoßend. Wer will schon solche Wurzeln haben? Wirkliches "Ausgesöhnt-Sein" mit der Geschichte, findet man bloß bei wenigen. Die Mehrheit hat es irgendwie abgehakt.

Die meisten in meiner Generation hatten auch keinen Opa der erzählte. Ich denke, das im Krieg Erlebte war für viele zu heftig. Es hat sie sprachlos gemacht. Auch das dritte Reich selbst machte sie sprachlos. Über persönliche Ansichten und Emotionen wurde öffentlich nicht gesprochen. Selbst in der eigenen Familie gab es Denunzianten. Wie soll man sich mit der Geschichte aussöhnen, wenn eine ganze Generation schweigt? Ohne Opas Geschichten hätte ich meine anderen Großeltern auch nicht begreifen können.

Die andere Oma (nicht Opas Frau) war bis zu ihrem Tod überzeugte Nazi. Für mich war das extrem schwierig. Es gab sehr heftige und giftige Auseinandersetzungen unter denen die gesamte Familie litt. Ohne Opa wäre der Kontakt zwischen meiner Nazi-Oma und mir völlig den Bach runtergegangen. Da ist dieses überwertige Nazi-Ideal, voll und ganz in der Rolle aufzugehen, diese zu perfektionieren, immer zu funktionieren, sich zusammen zu reißen, nichts in Frage zu stellen und seine Pflicht zu erfüllen. Einigkeit, Zugehörigkeit zur Gruppe, Gehorsam, Vertrauen in Autoritäten steht über allem anderen. Eigentlich alles alte Preußische Tugenden und durchaus liebenswert. Doch in seiner übersteigerten Form - so wie es im dritten Reich gelebt wurde - tötet es alles menschliche ab. Und so fühlte ich mich in Gegenwart meiner Nazi-Oma oftmals völlig entmenschlicht und nur noch auf eine Fassade reduziert. Doch wenn ich es - wie Opa - schaffte, mich auf das zu besinnen, was ich bin und nach den liebenswerten Aspekten in Nazi-Oma suchte, dann konnte ich einen positiven Kontakt zu ihr herstellen. Dann konnte ich den Menschen in Nazi-Oma erreichen. Und dann kam auch etwas zurück.

Ich denke, dass ist es auch, was den Reiz der Briefwechsel ausmacht: Dass man in diesen Briefwechseln die menschliche-emotionale Seite seiner Ahnen findet; Dass dies trotz allem noch vorhanden war.


@ BONNEY
Es freut mich zu lesen, dass durch Deine Lesungen Gespräche und Diskussionen in Gang kommen.
Das ist schön. *g*

Liebe Grüße!
Galinthias
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Ja, es gibt Geschichten, die sind einfach so wahnsinnig, man mag kaum glauben dass sie wahr sind! Trotzdem sind sie es...

Mein Großonkel ist als kleiner Junge in Schlesien von seiner Familie getrennt worden! Sein Vater war bereits zwei Jahre vorher gefallen, seine Mutter und die Geschwister bekamen ihn nicht mehr rechtzeitig von der Kinderlandverschickung zurück, und mussten deshalb ohne ihn flüchten. Er wurde also mit acht Jahren bei einem Flüchtlingstreck auf einen fremden Wagen gesetzt, der dann später von den Russen aufgebracht wurde...

Zusammen mit einigen Frauen und anderen Kindern wurde er in ein Zimmer gesperrt, und die Russen warfen Einweckgläser an die Decke, so dass es einen fürchterlichen Scherbenregen gegeben haben muss. Als er deshalb aus dem Fenster flüchtete wurde er Teil einer Treibjagd, bei der auf alles geschossen wurde was sich auch nur irgendwie bewegte. Er überlebte, weil der Russe der ihn kniend vor dem Gewehr hatte mit dem Kopf Richtung Wald nickte, und ihn doch noch entkommen ließ...

Diese Geschichte hörte ich das erste Mal vor wenigen Wochen, als ich bei ihm war und Recherchen für ein gemeinsames Buch anstellte...

Denn er hat Gedichte und Balladen über diese Zeit, und vor allem sein Trauma daraus, geschrieben, aber nie veröffentlicht! Das wollen wir jetzt zusammen nachholen... Wir kamen darauf, weil ich ihn dieses Jahr das erste Mal seit zwanzig Jahren auf einer Famlienfeier wiedergetroffen hatte, und ihm mein erstes Buch schenkte! Ich habe lange niemanden mehr so vor Glück und Freude weinen sehen wie diesen Mann, als er bemerkte dass es auch heute noch Menschen gibt die sich dafür interessieren...

Deswegen will ich dieses spezielle Buch so schnell wie möglich rausbringen, er muss einfach wissen dass seine Geschichte nicht verloren gehen wird...
******rot Frau
13.146 Beiträge
ich kann jetzt nichts direkt zum Thema beitragen, aber dabei ist mir eingefallen, das ich wann es geht, versuche meiner Mutter Geschichten und Erzählungen zur Familie zu entlocken, ein großer Teil der Familiengeschichte ist ja nur mündlich überliefert und ich weiß letztlich nicht wieviel Zeit mir noch bleibt, soviel wie möglich zu erfahren und dann auch selbst weiterzutragen, vielleicht könntn wir das Thema sogar darum erweitern?
*******ias Frau
4.126 Beiträge
Fragen
Hallo BONNEY!

Vielen Dank für die Geschichte Deines Großonkels.

Du schreibst:
****EY:

Ein einzelner Brief...
...kann manchmal schon wahnsinnig viel verändern.
(...)
Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht einmal, dass er Wehrmachtssoldat gewesen war,

Was hat dieser Brief für Dich verändert?
Was bedeutet er für Deinen Bezug zu Deinem Großvater?/ zu Deinen Wurzeln?


Und dann diese Reaktion von Deinem Großonkel:
****EY:
Ich habe lange niemanden mehr so vor Glück und Freude weinen sehen wie diesen Mann, als er bemerkte dass es auch heute noch Menschen gibt die sich dafür interessieren...

Und Deine Reaktion (Suche) auf das Schweigen:
all meine anderen Großeltern hielten sich bei diesem Thema sehr bedeckt, deswegen fing ich an woanders nach Informationen zu suchen, und kam letztlich bei den Briefen an.

Ist es dieses Gefühl, dass es in der eigenen Familie "unsichtbare Wände" gibt?

Es gab mehrere Phasen in meinen Leben, in denen ich mich intensiv mit dem dritten Reich auseinandergesetzt habe. Und ich habe mich oft gefragt, was mein größter Antrieb dabei ist. Die Suche nach meinen Wurzeln? Oder das Gefühl, dass es "unsichtbare Wände" gibt? Nicht nur in meiner Familie. Sondern generell. Kennst Du dieses Gefühl auch?

@ Kirschrot
Gerne auch das. Bin gespannt, welche Unterschiede zwischen Eltern und Großeltern es da gibt.


Liebe Grüße!
Galinthias
******rot Frau
13.146 Beiträge
mir gehts nicht mal um den Unterschied - nur die Großeltern konnte ich leider nicht mehr fragen ... und bin deshalb jetzt schon auf den "Zwischenüberlieferer" angewiesen

ich geb mal ein Beispiel - mein Opa war ein sehr sensibler Mensch, er war ein Dichter und Denker, was zu seiner Zeit nicht so gefragt war, da waren Handwerker angesagt, er war dann sehr krank und 70 km entfernt in einer Klinik - meine Oma hatte fünf Kinder am Hacken und vor zwei Jahren sind Briefe aufgetaucht, die er aus der Klinik geschrieben hat, meine Mutter war sehr berührt, als mein Onkel sie an sie weitergegeben hat und ich durfte mitlesen, mich einfühlen und hab das ein oder andere über ihn erfahren, das mir bis dahin komplett unbekannt war - er ist dort verhungert, weil künstliche Ernährung noch nicht drin war und er selbst nichts mehr zu sich nehmen konnte und kam nie wieder heim, die Briefe sind das letzte, was wir haben und es hat so lange gedauert bis sie aufgetaucht sind - ich weiß es jetzt grad nicht genau, aber ich glaube ich war zwei oder drei als er gegangen ist, er wußte also das es mich gibt, ich hab ihn aber nie kennenlernen dürfen, es langen also rund 40 Jahre dazwischen ...

und ich bin schon deshalb, für diesen Thread dankbar, weils mich eben wieder erinnert hat *g*
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
@Galinthias:
Für mich war mein Großvater immer der Tischler, der Mann der mir Wassereis gab und der mich halt mit seinem Mofa durch die Gegend fuhr! Er lebte im dunkelsten Ostfriesland, und ich habe ihn sehr geliebt! Aber er war für mich nie eine reale Person mit eigener Lebensgeschichte, ich wusste nicht einmal dass er das Haus selbst gebaut hatte, in dem ich dort quasi meine ganze Kindheit verbracht habe... Er war halt Opa...

Zu einem "ganzen" Menschen wurde er für mich erst sehr viel später, in drei Stufen:

Das erste Mal als ich zwölf war, und er starb. Ich fand diese besagte Karte, und bekam von meinem Vater erklärt dass Opa halt im Krieg war, und die Karte wohl aus der Gefangenschaft kam! Ich wusste damals nicht mal warum, aber es war mir unendlich wichtig sie behalten zu dürfen... Wie gesagt, darauf waren nur zwei Hunde, ein bisschen Glitzer, ein aufgedruckter englischer Weihnachtswunsch. An sich wirklich armselig, aber mehr gab es im Lager wohl nicht zu kaufen...

Jahre später, ich muss schon Mitte 20 gewesen sein, nahm ich diese Karte aus mir immer noch unbekannten Gründen mal wieder aus dem Rahmen in den ich sie gesteckt hatte, und entdeckte zufällig dass man sie nicht nur einmal, sondern zweimal aufklappen konnte. Das war mir vorher nie aufgefallen, denn sie war ja schon alt und brüchig, ich war also immer sehr vorsichtig mit dem einzigen Andenken an Opa gewesen. Und da sah ich, das in dieser Karte ein kurzer Brief an seine Familie war, den ich vorher noch nie bemerkt hatte, in seiner Handschrift, die ich überall und jederzeit wiedererkennen würde. Ich schwöre Euch, ich habe stundenlang geheult...

Vor ein paar Jahrens starb dann auch meine Oma, und mein Vater sammelte alle Fotoalben ein, damit sie nicht innerhalb der Familie wild verteilt werden würden. Sie lagen ewig lange in einer Kiste rum, und dann hatte ich vor ein paar Wochen die Aufgabe sie alle zu scannen, damit alle Familienmitglieder die Bilder bekommen können! Und dort fand ich zum ersten Mal ein Album, dass mein Opa selbst angelegt hatte! Mein Großvater mit 17 Jahren auf einem Passfoto, Hoffnung im Blick, dann wenig später in seiner Wehrmachtsuniform, die Mütze schief auf dem Kopf, das Lächeln unsicher! Und dann ein Bild, dass er seiner Familie aus der Gefangenschaft geschickt hatte...

Und DA habe ich ihn das erste Mal so wirklich als ganzen Menschen wahrgenommen, und nicht nur als Opa! Ich fand andere Fotos, und erfuhr dass er sein Leben lang Motorradfahrer war. Das Mofa, dass ich kannte, war nur das letzte Glied in einer langen Kette von Motorrädern, und sein Kompromiss, als er zu alt für normale Bikes wurde... Plötzlich konnte ich mir vorstellen, wie dieser Junge, der auf den Fotos zwanzig Jahre jünger war als ich es jetzt bin, eingezogen worden war! Wie er litt, gefangen genommen wurde, Angst hatte... Mit dem nackten Leben davon gekommen, noch nicht wissend was ihn in der Zukunft erwarten würde...

Was ich sagen kann ist dass er einen Haufen Kinder bekommen hat, ein Haus baute, jede Menge Enkelkinder hatte und von mir abgöttisch geliebt worden war! Aber einmal im falschen Moment den Kopf hochgestreckt, einen Moment lang nicht aufgepasst, eine falsche Bewegung, und er wäre tot gewesen... Und all das, seine Kinder, das Haus, MICH, all das hätte es nie gegeben...

*

Die andere Seite der Familie, mütterlicherseits, hat eine ganze andere Geschichte, aber mein Großonkel gehört, wie ich selbst auch, einfach nicht dazu! Mein Großonkel war wie gesagt ein Suchkind, und war jahrelang von seiner Familie getrennt! Als er sie dann wiederfand gab es bereits eine Kluft, die sich wohl erst in den letzten paar Jahren wieder schloß! Denn während er sehr unter seinen Erfahrungen litt, und sie irgendwann um das Jahr 2000 herum mal aufschrieb, wollte sonst niemand mehr mit ihm darüber reden... So blieb er ein Leben lang ein Aussenseiter in dieser Familie, und das merkte man auch bei dem Familientreffen! Ich habe meine eigenen, sehr unschönen Gründe, warum ich keinen Bezug zu irgendjemandem in dieser Familie habe, und so saßen wir beide da zusammen, Ausgestossene. Keiner sprach mit uns, keiner hörte uns zu. Denn wir bohren in den Wunden, stellen Fragen und wollen verstehen, das möchte dort sonst niemand... Deswegen konnten wir auch so gut miteinander, und deswegen weinte er auch so, denn ich bin der einzige in diesem Teil der Familie der ihn fragt wie es alles war, und wie es ihm damit ging/geht...

Es gibt eine Fernsehdokumentation über ihn, falls es jemanden interessiert werde ich hier gerne den Link posten...
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
@Kirschrot
Kleine Hilfe: Ich habe mir ein kleines Ansteckmikro bei amazon bestellt, das kann ich ganz einfach an mein Handy anstöpseln und dann dort das Diktiergerät laufen lassen... Ist klein, einfach, nimmt in einer tollen Qualität auf, und man verpasst kein Wort mehr! Einfach auf Flugmodus stellen, und dem Interviewten in die Tasche stecken, dann kann er laufen, erzählen, nebenbei Kaffee kochen, was auch immer...

Mein Großonkel weigert sich leider noch immer geplant und detailliert zu erzählen, aber ich hoffe dass es eines Tages mal passen wird! Bis jetzt platzen die Geschichten einfach immer so aus ihm heraus, gerne auch immer wieder dieselben, und ich muss nehmen was ich kriegen kann. Er will dieses Buch mit mir zusammen rausbringen, befürchtet aber wohl auch dass ich ihn nicht mehr besuchen komme, wenn ich erstmal alles gehört habe. Und diese Angst konnte ich ihm bisher leider noch nicht nehmen... *schiefguck*

Aber im Selbstversuch klappt das Mikro super, stört den Erzähler nicht und konserviert wie gesagt jede erzählte Geschichte...
******rot Frau
13.146 Beiträge
danke dir, geplant haben wir auch noch nie erzählt - meine mutter haut mich wenn ich mit nem mikro komm, sie hats ja schließlich auch ohne aufgenommen und ich denke das bin ich ihr auch schuldig, das wir das natürlich übermitteln, so wie es eben schon immer war - und wenn ich was vergessen hab, dann ist das eben so - mir ist eher wichtig das ich solche schriftstücke wie ich sie beschrieben habe, erbe und was in der hand habe und durch diesen thread ist mir klar geworden, das ich sie direkt darauf ansprechen sollte, damit sie erfährt wie wichtig sie mir sind

meine frage an dich wäre jetzt noch, obs für dich in ordnung wäre, wenn wir den thread in richtung familengeschichten erweitern könnten - alterativ reichts auch für ein neues Thema, aber ich persönlich finde es passt gut hier hin - entscheide bitte du
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Von mir aus können wir ihn gerne erweitern, wenn's thematisch ein bisschen passt... Ist doch wahnsinnig interessant, und ich bin wirklich sehr an einem regen Austausch interessiert, es haben sich schon einige interessante Gespräche/Kontakte ergeben, über die ich wahnsinnig froh bin. Ich würde also vorschlagen einfach "...und Familiengeschichten" hinter das "Feldpostbriefe" zu hängen... *zwinker*

Und ja, es ist wichtig nach solchen Dokumenten zu fragen so lange es noch geht! Mein Großonkel hat 1993 alles von seiner Mutter, meiner Urgroßmutter, geerbt, was sie hatte! Dokumente, die sie nach ihrer Flucht (zu Fuß aus Breslau) und beim Feuersturm in Dresden dabei hatte, und dort unter Lebensgefahr aus einem brennenden Haus rettete! Sie hatte ja nichts mehr ausser zwei von drei Kindern, den letzten Brief meines Urgroßvaters an sie, ein paar Fotos und einige Dokumenten in einer Ledermappe...

Meine ganze Familie schimpft wegen dieser Mappe auf meinen Großonkel, weil er sie niemals rausrückte! Aber ich habe jetzt gerade alles hier liegen, zwar leihweise, aber mein ehrliches Interesse daran hat ihm wohl das Gefühl gegeben es herausgeben zu können, etwas dass er 23 Jahre lang für niemanden sonst gemacht hat! Also ja, frag sie unbedingt, und erkläre ihr dass Du es wirklich haben möchtest...
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Werner Leuschner
Ich bin jetzt zweimal per PN nach der Doku über meinen Onkel gefragt worden, deshalb hier jetzt einfach mal der Link! Mein Großonkel, Werner Leuschner, erzählt darin einiges über seine Geschichte, hat aber auch vieles ausgelassen, wie er selbst sagt! Er konnte einfach nicht alles erzählen...

Ich hoffe deshalb so sehr dass ich sein Buch fertig überarbeitet bekomme, bevor er die Veröffentlichung nicht mehr erleben kann...


*****ida Frau
16.741 Beiträge
das
ist wirklich ein spannendes und sicher lohnendes Projekt. *top*

In zweierlei Hinsicht, wie ich finde: zum einen schaffst du ganz offensichtlich eine Plattform - in deinen Lesungen, wie auch hier - dass Menschen, die diesen schrecklichen Krieg erleben, durchleben, mussten, Gehör finden, dass sie mit ihrer Geschichte, ihren Schmerzen, ihren Erlebnissen, Traumata und ihren Schlüssen aus dem Erlebten, gesehen werden. Das allein ist heilsam.

Zum anderen finde ich es sehr wertvoll für alle "zu_spät-Geborenen", weil sie sich hier ein sehr authentisches Bild machen können, von der damaligen Zeit, den Umständen, den Gefühlen, dem Alltag. Oral history vom Feinsten, so gesehen. Ich könnte mir deine Lesungen sehr gut an Projekttagen an Schulen vorstellen, meines Wissens gibt es solche immer noch, auch und gerade zum Thema Krieg und Nationalsozialismus.

Eine Frage allerdings treibt mich um: du sagst, du sammelst diese Feldpostbriefe; ich nehme also an, du hast auch welche vom Flohmarkt oder aus ähnlichen Quellen. Und nicht nur aus der eigenen Familie oder persönlich übergeben.
Wie machst du es, an das Einverständnis der Verfasser (oder Empfänger) der Briefe zu gelangen?
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Ja, das mit der Einverständniserklärung ist oft schwierig! Bis jetzt hatte ich nur Konvolute bei denen der Absender nachweislich , oder wenigstens sehr wahrscheinlich, verstorben ist! Siebzig Jahre nach dem Verfassen eines Textes ist er gemeinfrei, jedenfalls wenn ich das Gesetz richtig interpretiere, und somit brauche ich die Erklärung nicht (Auch wenn ich sie gerne hätte)...

Außerdem ändere ich bei Veröffentlichungen sowieso die Nachnamen der Absender leicht ab, jedes Mal, einfach aus Gründen der Pietät! Beides nicht unbedingt die Lösungen die ich mir wünschen würde, aber anders leider nicht machbar, da sich Nachkommen eigentlich nie finden lassen! Habe ich so ein Paket erstmal bedeutet es für gewöhnlich, dass sich sonst einfach niemand mehr für den Verstorbenen interessiert hat...
*****ida Frau
16.741 Beiträge
Vielen Dank für deine Antwort!

das dachte ich mir.
schwierig.
Denn die Tatsache, dass sich niemand für die Verstorbenen interessiert hat, und du ansonsten nicht in den Besitz der Briefe gekommen wärst, gibt dir ja nicht automatisch das Recht, mit den Briefen nach eigenem Gutdünken zu verfahren.
Ich kaue an diesem Thema, stelle ich fest, denn ich finde dein Projekt, wie gesagt, sehr toll und wichtig und richtig - gleichzeitig kann ich nicht darüber hinwegsehen, dass da Intimstes von Menschen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Ohne dass sie darüber entscheiden können.

Aus diesem Dilemma heraus entstand meine Frage an dich, weil ich eben nicht wirklich zu einer für mich ! befriedigenden Antwort gekommen bin.
Es stehen ja zwei berechtigte Wünsche nebeneinander. Welcher wiegt mehr?

Thematisierst du das in deinen Vorworten oder auf den Lesungen?
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Diese Diskussion hatte ich nicht nur auf den Lesungen, sondern auch im eigenen Familienkreis! Mein Großvater war dagegen, mein Großonkel war dafür, meine Oma hat sich enthalten! Meine Mutter findet es völlig daneben, mein Vater unterstützt mich total... Also selbst da gibt es keinen gemeinsamen Nenner...

Und das Argument ist immer das, welches Du vorgebracht hast, und welches ich absolut nachvollziehen kann! Es sind persönliche Gedanken und Gefühle, und die gehen eigentlich niemanden etwas an, da ändert auch die "Erlaubnis" vom deutschen Gesetzgeber ncihts. Ich habe da durchaus ein moralisches Dilemma, an dem ich lange zu knabbern hatte, und einige Pakete habe ich auch aus genau diesem Grunde nie veröffentlicht. Andererseits glaube ich aber eben auch dass nur so wirklich noch ungefilterte Informationen weitergegeben werden können, die heutzutage absolut wichtig sind.

Ich weiß auch dass es dabei nur ein kleiner Schritt ist die Namen zu ändern, aber mehr kann ich leider nicht machen. Und gäbe es nicht diesen dringenden Wunsch in mir Menschen aufzuklären, und meinen Teil dazu zu leisten dass sich das alles nicht mehr wiederholt, dann würde ich sie wohl auch nicht rausbringen, denn die Bücher kosten mich wie gesagt leider nur ein Heidengeld... Aber da ist dieser Zwang in mir diese Geschichten zu teilen, damit auch andere sie lesen können...

Und ich hoffe einfach mal, dass es richtig interpretiert werden wird! Ich habe den Wahlspruch "Gegen Rechts. Gegen das Vergessen." sehr bewusst gewählt, denn ich bin gegen beides. Ich bin auch gegen das bloße Ausplaudern von Privatem, also glaub mir, es sind tatsächlich viele Nächte vergangen bis ich mir darüber sicher war das machen zu können, trotz meiner Bedenken! Und selbst heute noch habe ich teilweise ein schlechtes Gewissen den Soldaten gegenüber. Aber ich versuche ihre alten Wohnorte aufzusuchen, ich bete für sie in Kirchen, sie sind wochen- und monatelang Teil meines täglichen Lebens, ich rede über sie wie über alte Freunde, und ich bringe ihnen jede Menge Respekt entgegen. Und hoffe einfach, dass es in ihrem Sinne gewesen wäre...
*****ida Frau
16.741 Beiträge
ich sehe, wir sind uns da sehr ähnlich, was die Bedenken betrifft.
Und irgendwie hätte es mich gewundert, wenn du sie nicht kennen bzw teilen würdest, denn alles andere hätte meinen Eindruck von dir Lügen gestraft.
Ich denke auch, dass die Namensänderung zumindest ein Schritt in die Richtung ist, die Anonymität der Schreibenden zu wahren.

Danke für deine Gedanken hierzu, deinen Auseinandersetzung auch damit und, nochmal: für dein Projekt, das ich echt klasse finde!
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****EY Mann
647 Beiträge
Themenersteller 
Wie gesagt, ich beschäftige mich über Wochen hinweg jeden Tag mehrere Stunden mit dem Leben eines einzelnen Soldaten, ich halte seine Fotos in Händen, seine Briefe, manchmal seine Orden oder die Blumen die er verschickt hat, und nehme dadurch so direkt wie möglich an seinem Leben teil! Man kann kaum beschreiben, was einem da durch den Kopf geht...

Habe ich die Adresse seiner Familie auf den Umschlägen, dann versuche ich dort hinzufahren und mich in ihn einzufühlen. Ich gehe die Straßen lang die er entlang gegangen ist, besuche die Treffpunkte, die er mit seiner Freundin hatte, habe schon an zwei Soldatengräbern gestanden und gebetet! Ich denke, wenn man da kein Gefühl für diese Menschen bekommt, dann hat man wirklich ein ernstes Problem! Also obwohl ich weiß dass dieses Thema umstritten ist, habe ich für mich einfach beschlossen es zu tun, mit so viel Respekt wie auch nur irgendwie möglich, denn so werden sie nicht vergessen, und können noch immer etwas bewirken...

Und ich danke Dir für die Möglichkeit, auch diese Seite meiner Arbeit mal zu erklären...
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